Ich kann das nicht. Ich bin introvertiert.

Das ist ja schon eine Sache mit dem “Ich kann das nicht”. Meistens ist es eine recht vorschnelle Aussage. Denn bevor ich etwas ausprobiert habe, kann ich ja gar nicht wissen, ob ich es kann.

Introvertierten, in sich gekehrten Menschen wird das oft vorgeworfen. Genauso wie “Komm doch einfach mal ein bisschen aus dir raus”, “Das kann doch jeder”, “Du sollst doch nur…, was ist daran so schwer?” und was es sonst noch so alles an Sprüchen gibt. Das kennst Du bestimmt. Und auch ich kann ein Lied davon singen. 

Dabei hat mich so gut wie nie jemand gefragt, warum ich meinte, etwas nicht zu können, warum ich nicht aus meiner Haut kam. Da hätte man vermutlich festgestellt, dass es gar nicht um einzelne, spezielle Dinge ging, die ich einfach nicht machen wollte. Es ging meistens um etwas viel tieferes.

Es ging um Situationen, in denen ich mit anderen interagieren musste, meinen Mund aufmachen, über Dinge reden, die ich noch gar nicht komplett erfasst oder durchdacht hatte. Es ging um Situationen, die sich für mich einfach laut anfühlten, die mir keine Rückzugsmöglichkeiten boten und in denen fast alle anders waren als ich. Und in denen ich mir unsichtbar vorkommen würde.

“ICH KANN DAS NICHT” – oft schrie das in mir, und manchmal schrie ich es auch nach draußen. Und ja, ich hatte das ausprobiert. Vielleicht nicht in den speziellen Situationen, wo mir meine Unwilligkeit zum Vorwurf gemacht wurde. Aber würde man einen Nichtschwimmer, der einmal in einem Schwimmbad fast abgesoffen war, blöd anmachen, weil er nicht mit in den Badesee geht? Vermutlich wäre es eine bessere Idee, ihm das Schwimmen beizubringen, nicht wahr.

Das klingt jetzt so, als könnte man Nicht-Mehr-Intorvertiert-Sein lernen. Das ist, nach allen Erkenntnissen, die es in dem Bereich gibt, nicht so. Introvertiertheit ist ein Teil der Persönlichkeit. Alle Menschen bewegen sich in einem Spektrum zwischen Intro- und Extrovertiertheit. Jeder trägt zu einem mehr oder weniger großen Anteil beide Seiten in sich. Und vermutlich ist es so, dass dies auch über die Gesellschaft hinweg recht gleichmäßig ausbalanciert ist. 

Wer auf der introvertierten Seite ist, bleibt es also höchstwahrscheinlich. Dennoch heißt introvertiert sein nicht, dass ich nicht extrovertiert agieren könnte. Das lässt sich tatsächlich lernen. Es kostet mich halt mehr Energie als jemandem, der mehr auf der extrovertierten Seite zu Hause ist. Denn der füllt seine sogar damit auf. Ich brauche danach eine Zeit für mich. Und es lässt sich leicht vorstellen, dass all das auch davon abhängig ist, wo auf dem Spektrum zwischen Intro- und Extrovertiertheit sich jemand befindet.

“Ich kann das nicht” – für mich hat sich das heute gewandelt in ein “Ich will das nicht”. Da, wo ich es für notwendig erachte, kann ich lautere Töne anschlagen, ein Stück aus mir heraus gehen. So, wie bei vielem, was ich im Umfeld meiner Coaching-Tätigkeit tue. Videos, Bilder, Podcast, Gespräche. Und ich probiere mich auch weiterhin aus an der einen oder anderen Stelle. Da, wo ich das entscheide. Wo es mir gut tut oder wo ich, so wie hier, für Verständnis werben kann für die stillen, sensiblen, introvertierten Menschen unter uns. 

Wenn mich früher jemand zu etwas drängen wollte, wo sich bei mir schon bei dem Gedanken daran alles innerlich zusammenzog, habe ich gesagt: “Ich kann das nicht.” Und ich habe mich gefragt, warum. Warum stehe ich jetzt hier und kann etwas nicht, was doch offensichtlich alle anderen können. Irgendwann habe ich dann gelernt, nein, nicht alle anderen. Da gibt es viele, die so oder so ähnlich drauf sind. Man muss nur genau hinhören, um die Leisen zu verstehen, weil sie nur allzu oft von den Lauten übertönt werden. 

Das Gute ist, wenn Introvertierte lernen können, extrovertiert zu agieren und damit ja auch die andere Seite besser zu verstehen, dann funktioniert es auch umgekehrt. Und das klingt doch wie ein versöhnliches Ende.

Bis es soweit ist: Wenn Du ein introvertierter, sensibler, stiller Mensch bist, ist das genau so richtig. Und falls Du bisher gedacht hast, du gehörst nicht hierher, du wärest irgendwie falsch oder würdest es einfach nicht hinkriegen, vergiss es. Du hast einen Platz. Du bist genauso wertvoll wie jeder andere. Und Du wirst gebraucht. 

Du kannst das nicht recht glauben? Dann lass uns mal drüber reden. So ganz unter uns Stillen.


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