Einfach mal den Arsch hochkriegen

Kinder und ElternAm 25.04.2019 würde mein Vater (auf dem Bild mit mir und meinem Bruder) 85 werden. Und weil ich da gerade dran denken musste, dachte ich mir, das ist doch eine gute Gelegenheit, mal ein bisschen aus dem Nähkästchen zu plaudern und ein paar Gedanken los zu werden. Weil ich immer wieder höre, wie Menschen so viele Dinge an ihrer Vergangenheit festmachen und gleichzeitig so wenig in der Gegenwart bereit sind zu ändern.

Ja, eine Zeitlang habe ich auch darüber nachgedacht, warum ich wohl so war, wie ich war. Introvertiert, (viel zu) ruhig, mutlos, jedes Risiko scheuend. Und es lag irgendwie nahe, das auf meine Kindheit, auf meine Eltern zurück zu führen.

Wie es war

Mein Vater war kein wirklich “männlicher” Mann. Er führte nicht das Wort, jubelte nicht lauthals beim Fußball und riss auch keine derben Witze. Meistens saß er still am Küchentisch und sprach nicht mehr, als unbedingt notwendig war. Oder er war in der Werkstatt und schnitzte, für wenig Geld, Elfenbeinfiguren* für Geschäfte, die diese teuer weiter verkauften. Mit seinen Fähigkeiten und seinem ganz eigenen Stil hätte er sicherlich leicht einen eigenen Laden aufmachen und die Dinge auf eigene Rechnung verkaufen können. Allerdings waren meine Eltern sehr ängstlich, was Risiken angeht, oder, um es anders auszudrücken, sehr sicherheitsbewusst. Gemacht wurde in der Regel, was eindeutig überschaubar war.

Ich war behütet als Kind. Vielleicht überbehütet. Von Natur aus eher ruhig und ein Einzelgänger, hatte ich auch keine großen Ambitionen, ständig mit anderen unterwegs zu sein und die Dummheiten zu machen, die man halt als Kind “so macht”. Meiner Mutter (Hallo an dieser Stelle 🙂 ) war das sicher recht, machte sie sich doch sehr häufig “Gedanken”. Was könnte nicht alles passieren. Dass ich meistens in der Nähe war und eher am Schreibtisch saß und las, als draußen rum zu hüpfen, war da wahrscheinlich ein ganz beruhigender Gedanke.

Vieles von dem habe ich übernommen. Die Zurückgezogenheit meines Vaters, den fehlenden Mut zum Risiko und sicher auch teilweise die Ängste meiner Mutter. Da gab es keine großen Sprünge in meinem Leben. Ich stürzte mich nicht in Abenteuer, hatte recht wenige Freunde und war lieber zu Hause als irgend etwas zu unternehmen, was mich mit allzu vielen Menschen in Berührung gebracht hätte.

Und es geht doch!

Irgendwie fehlte immer öfter was. Aber so war das halt. So war ich. Oder war es doch nicht so einfach? Irgendwann entdeckte ich, so nach und nach, mehrere DInge. Ich kann da selbst was dran ändern. Ich bin jetzt groß (ok, ich war schon über 50). Es ist meine Entscheidung.

Ja, vielleicht wäre es einfacher gewesen, wenn mein Vater mich auf den Fussballplatz geschleppt hätte und mitgenommen zu Männergesprächen in der Kneipe. Vielleicht hätte meine Mutter mich einfach mal rauswerfen sollen. “Geh spielen, sitz nicht immer hier rum.” Was wäre wohl gewesen, wenn meine Eltern das Risiko eingegangen wären und ein Geschäft eröffnet hätten? Dann hätte ich viel früher gelernt “einfach mal machen”. Vielleicht wäre es gut gegangen, vielleicht auch nicht. Dann hätte ich gelernt, es ist ok, einfach mal ein Risiko einzugehen. Wenn du hinfällst, ordne die Klamotten, richte das Krönchen und steh wieder auf.

Ich habe darüber nachgedacht. Soll ich ihnen jetzt böse sein? Hätten sie es nicht besser machen müssen? Und weißt Du, was ich letztlich gefunden hab? Das will ich Dir gerne sagen. Und ich teile das mal auf in Tipps für “Kinder” und solche für Eltern.

An alle, die “Kinder” sind

Egal, wie Dein Leben verlaufen ist: Vermutlich haben Deine Eltern das gemacht, was sie für richtig gehalten haben und das, was sie eben in diesem Rahmen zu tun vermochten. Was auch immer das für Dein Leben bedeutet hat, auch deine Eltern agierten aufgrund dessen, was sie selbst im Leben mitbekommen haben und das, was für sie statthaft war.

Schließe Deinen Frieden damit. Mit was auch immer. Heute ist alles so, wie es eben ist. Es ändert sich nicht dadurch, dass Du Dich an die Gedanken klammerst, was früher alles schief gegangen und wer dafür verantwortlich ist. That’s not the point. Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern, sie ist bereits passiert. Was Du ändern kannst, ist deine Einstellung dazu. Du kannst Dein Leben lang grübeln, wer an was schuld war. Aber das ist Bullshit. Weil es Null weiter hilft. Das einzige, was hilft, ist, dass Du den Arsch hochkriegst und Dich änderst. Dein Leben, Deine Entscheidung. Hol dir Hilfe, wenn Du es nicht alleine kannst. Gegenüber der Zeit, in der ich groß geworden bin, ist das heut so einfach. Wenn Du es willst. Vielleicht klappt es auch nicht beim ersten Mal. Dann denk mal dran: Wie hast Du Laufen gelernt? Sicher beim ersten Versuch, oder?

An alle, die Eltern sind

Denk an zweierlei: An die Macht der Worte und an die Macht der Handlung. Ich nehme hier jetzt einfach mal andere Beispiele als oben, damit es noch etwas deutlicher wird. Wenn Du Deinem Kind oft genug sagst, dass es nichts richtig macht, wird es das wahrscheinlich irgendwann glauben. So richtig verinnerlicht. Wir nennen das Glaubenssatz. Wenn Du Deinem Kind erzählst, wie es in der einen oder anderen Situation im Leben handeln soll, und Du machst es ganz anders, wird es das wahrscheinlich auch anders machen. Kinder lernen u.a. aus den Handlungen ihrer Eltern. Wenn Du Deinem Kind sagst “Du brauchst keine Angst vor xy zu haben” und diese Angst selbst hast, was wird wohl mit großer Wahrscheinlichkeit das Resultat sein? Wenn Du Deinem Kind eine zerstrittene Partnerschaft vorlebst, welches Bild von Partnerschaft wird es dann wohl mit ins Leben nehmen?

Wenn Du Probleme mit Dir selbst hast, tu etwas dagegen. Es ist ja nicht mal wichtig, ob es immer Erfolg hat. Es ist wichtig, dass du zeigst: Ich bin für mich selbst verantwortlich. Nicht die Umstände, nicht andere, nicht die Vergangenheit. Und stell Dir vor, wie das sich wohl auf das weitere Leben Deines Kindes auswirken wird.

Und heute?

Ich bin der, der ich bin, weil ich genau diese Vergangenheit gelebt habe. Ja, da gab es einige DInge, die vielleicht anders hätten sein können. Bei mir nichts besonders Tragisches, bei anderen vielleicht schon. Ja, es gibt auch Erinnerungen, die nicht so prickelnd sind. Müssen sie aber auch nicht. Es ist Vergangenheit. Und jetzt ist jetzt. Es gibt keinen Grund, mir schlechte Gefühle zu machen wegen Dingen, die ich nicht mehr ändern kann. Ich habe mit meiner Vergangenheit Frieden geschlossen und bin mit allem und allen im Reinen. Mit meinen Eltern, mit meinem Großvater, wegen dem ich als Kind Alpträume hatte, mit meinem eigenen Leben, das bis vor einigen Jahren nicht sonderlich aufregend war.

Hier und Jetzt spielt die Musik. Der Rest ist eine Konserve. Die kannst du dir anhören, um heute besser zu werden, um zu lernen.

* In Erbach im Odenwald, meiner Heimatstadt, ist traditionell das Elfenbeinschnitzerhandwerk zu Hause. Heutzutage nutzt man Mammutzähne, die irgendwo in Sibirien ausgebuddelt werden.


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    3 Kommentare zu „Einfach mal den Arsch hochkriegen“

    1. Ich danke Dir ,,..
      Es weiß halt keiner ,wenn man alles anders gemacht hätte,ob es dann besser gewesen wäre!
      Ich denke mal es war nicht alles gut ,aber auch nicht alles schlecht,,,,,
      Bleib wie Du bist,ein liebenswerter Mensch !

      Drück Dich ganz lieb ,Deine Mutter,,,,..

    2. Hallo mein lieber Sohn ,,,
      Erst mal herzlichen Dank,für den lieben Gruß ,.,.
      Ja es ist schon eigenartig sein Leben rückwärtz zu betrachten !
      Ich muss Dir in ganz vielen Dingen aus vollem Herzen zustimmen !!!
      Du musst aber trotzdem auch bedenken ,dass es eine vollkommen andere Zeit war !
      Zum Beispiel mit der Selbstständigkeit !!!!
      Heute bekommt man Hilfe ,das gab es früher nicht ,
      Der Verdienst war nicht so hoch und man hatte eine Verantwortung der Familie gegenüber .!
      Ihr solltet eine gute Schulbildung bekommen und eine gute Ausbildung !
      Es war alles nicht so einfach !
      Da war der Mut zum Risiko nicht so groß ,,,.,
      Dass ich immer darauf bedacht war,Euch zu beschützen und zu behüten stimmt ,ich habe relativ spät gemerkt ,dass man einfach auch mal loslassen muss. !!!
      Aber weißt Du ?,,,du brauchst für alles einen Schein ,oder Prüfung ,oder Führerschein,oder nenne es einfach ,wie Du willst ,aber Eltern wird man einfach ,,,,also macht man alles so ,wie man denkt ,dass es für alle zum BESTEN ist !
      Mein Leben war auch nicht immer ganz einfach ,aber ich hatte einen guten Mann und zwei liebe Jung’s.,
      denen ich DIE LiEBE.die ich in meinem Elternhaus erfahren durfte
      weitergegeben habe ,,,..,
      ,,,,,,,,,,,,ganz liebe und herzliche Grüße Deine Mutter,,,,…

      1. Danke für den Kommentar. 🙂

        Es stimmt, dass heute vieles einfacher ist. Außerdem weiß man heute viel mehr über die Zusammenhänge. Es gibt viel mehr Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen (hab ich ja auch geschrieben).

        Und trotzdem sitzen viele Menschen da und machen – nix. „Ist halt so.“ Und für die hab ich das geschrieben. Nein, es ist nicht halt so. Und was früher so gar nicht möglich war (und auch verpönt), ist heute viel einfacher. Nichts ist in Stein gemeißelt. Ich muss halt selbst die Verantwortung für mich übernehmen.

        Einen Elternführerschein gibt es leider offiziell immer noch nicht. Wenn ich manchmal Eltern begegne, die total überfordert sind und dann ihre Wut an ihren Kindern auslassen, denk ich mir, so ein Führerschein wäre gar nicht schlecht. Die Menschen haben eigentlich so viel Zeit heute und doch sind viele so hektisch.

        Ich hatte es da ja richtig gut. 🙂

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