Heute war ich mit meinem muslimisch-arabischen Freund unterwegs. Er ist ein kleiner, schmächtiger Mann, ruhig, bedacht, achtsam. Immer freundlich, immer hilfsbereit.
Irgendwann sagte er: “Ich kann es gar nicht verstehen, dass hier alle meinen, wir wollen etwas verändern. Wir sind hier, weil es uns in unserem zu Hause schlecht gegangen ist, Sonst wären wir nicht gekommen. Wir wollen einfach nur in Ruhe leben.”
Ich wusste darauf keine Antwort.Ich verstehe es auch nicht.
Ich kenne ihn nun seit fast einem Jahr und bin dadurch auch ein bisschen in seine “Szene” eingetaucht. Und er hat von sich erzählt. Von seinem Glauben , seinen Werten, seinem Leben vorher. Mehr als einmal hat er mich zu Tränen gerührt, weil ich gespürt habe, wie schwer das sein muss, in so einer fremden Welt zu leben.
Er bemüht sich, hier nicht allzu sehr aufzufallen. Er beißt sich durch. Er ist sehr zuvorkommend und sein charmantes Lächeln macht es ihm vielleicht sogar ein bisschen leichter als anderen. Aber mir entgehen auch nicht die Blicke, wenn wir an Orten unterwegs sind, wo er aufgrund seines Äußeren ins Auge sticht oder wenn Handwerker in seine Wohnung kommen und ihn in seinem bodenlangen Hausüberwurf sehen.
Mir tut das weh. Weil das, was ich von ihm gehört und gesehen habe, mir allerhöchsten Respekt abringt. Er hat zum Beispiel mal erzählt, dass man gut mit Essen umgehen soll. Man legt nicht die Füße auf den Tisch, auf dem man isst. Man schiebt auch nicht den Einkaufskorb mit den Lebensmitteln mit dem Fuss weiter. Essen wird nicht mit den Füßen getreten, Und wenn etwas auf dem Weg liegt, dann packt man es an die Seite, für die Tiere.
Am Anfang dachte ich, ja, solche Dinge hast du schon von vielen gehört und am Ende machen sie es doch anders. Aber weit gefehlt, ein paar Tage später liefen wir über einen S-Bahn Bahnsteig und da lagen ein paar Pommes Frittes auf dem Weg. Ich war schon halb vorbei, ohne darauf zu achten. Da sah ich, wie er sich schräg hinter mir bückte und die Pommes an die Seite legte.
Ich könnte jetzt viele solche kleinen Geschichten erzählen. Und alle würden das gleiche sagen: Er lebt das, was er glaubt. Und das hat mich tatsächlich tief beeindruckt.
Aus meiner Sicht kann ich nur dazu einladen, nicht Angst oder Vorbehalte gegeneinander gewinnen zu lassen, sondern sich kennenzulernen, sich füreinander zu interessieren. Und tatsächlich wusste er viel mehr über unsere Kultur als ich über seine. Nun erzählt er mir davon, ich forsche weiter und ich stelle ihm Fragen, die er geduldig beantwortet. Viele seiner Fragen kann ich ihm dagegen nicht beantworten. Warum hier alle ständig vor irgendetwas Angst haben. Warum sich so viele Menschen hier das Leben so schwer machen. Oder warum Toiletten aus Deutschland mit integrierter Spüleinrichtung für den Allerwertesten zwar in seiner Heimat stehen, er sie hier aber nicht finden kann und er deshalb immer darauf achtet, eine Flasche Wasser dabei zu haben, weil nicht mal das überall vorhanden ist.
In meinem Bad steht nun immer eine kleine Gießkanne. Und Angst? Ich hatte schon vorher keine Vorbehalte und habe diese ganze Aufregung nicht verstanden. Warum schließen wir immer von ein paar Wenigen, die prominent in der Presse auftauchen, auf alle? Warum müssen wir immer alle bewerten, einordnen? Sollten wir nicht einfach alle in Frieden miteinander leben?
Heute weiß ich, meinen Freund werde ich mit Zähnen und Klauen verteidigen, und ich werde generell nicht den Mund halten bei irgendwelchen Pöbeleien und dergleichen. Ich bin stolz auf sein Vertrauen. Er nimmt mich mit in “seine Welt”. Und so vieles darin ist so naheliegend, so einfach, so liebenswert. Es ist für ihn total ok, dass ich naturgemäß viele Dinge anders kenne, anders mache oder anders verstehe. Er will mir nichts aufdrücken, mich nicht von etwas überzeugen oder irgendetwas ändern. Warum sollte ich das dann bei ihm wollen?
Wir sitzen zusammen, wir unterhalten uns, wir lachen zusammen und manchmal ist er traurig. Er kann oft nicht einschlafen, weil er über viele Dinge nachdenkt. Er hat Träume und Wünsche und wenn er von Köstlichkeiten aus seiner Heimat erzählt, tut er das so bildlich, dass mir das Wasser im Mund zusammen läuft. Er mag keine Spritzen beim Arzt und er schluckt so manches runter, was mich wütend machen würde. Er ist einfach ein Mensch.
So vieles ließe sich noch sagen. Aber für diesmal möchte ich es dabei bewenden lassen. Vielleicht noch soviel: Menschen, mit denen man sich wirklich befasst, sind irgendwann keine Fremden mehr. Und es ist an der Zeit, dass wir alle die Menschen sehen hinter den ganzen Schlagzeilen, Schlagworten und Verallgemeinerungen. Wie wär’s? Bestimmt gibt es auch in deiner Gegend eine gute Gelegenheit.
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